Eine am Patientenwohl orientierte Gesundheitsversorgung sollte die Patientenperspektive systematisch einholen und einbeziehen. Doch gegenwärtig werden Patientinnen und Patienten noch nicht regelmäßig über die von ihnen wahrgenommenen Therapieergebnisse und -erfolge befragt. Für die Umsetzung solcher Befragungen gilt es nun, die Chancen der fortschreitenden Digitalisierung zu nutzen: Mit dem Einsatz von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) wäre es möglich, Patient-Reported Outcome Measures (PROM) schnell und strukturiert zu erfassen, auszuwerten und gezielt für die Verbesserung der laufenden Therapie zu nutzen.
Patient-Reported Outcome Measures (PROM) sind validierte Fragebögen, die die Symptome, Funktionsbeeinträchtigungen und das Befinden von Patientinnen und Patienten vor, während und nach einer Behandlung erfassen. Über DiGA, die bereits über die dafür notwendige Anbindung zum Patienten verfügen, könnten PROM systematisch erhoben werden. Doch DiGA sind viel mehr als bloße Erhebungsinstrumente: Sie bieten personalisierte digitale Versorgungleistungen an und können über die direkte Rückmeldung der Nutzerinnen und Nutzer das Selbstmanagement stärken sowie die Therapiesteuerung unterstützen und verbessern.
Der Frage, ob und für welche Zwecke DiGA gegenwärtig schon PROM erheben und nutzen und welche Potenziale damit verbunden sind, geht die Markt- und Potenzialanalyse „DiGA und PROM“ nach. Die Studie wurde Ende 2021 von den Autoren Dr. Johannes Bittner und Timo Thranberend (Konzept-Agentur Bittner + Thranberend GmbH) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt. Hauptmethoden der Studie sind eine quantitative Marktanalyse, für die 110 Websites von Medizinprodukt-DiGA und 28 Studien bzw. Studienkonzepte der DiGA im BfARM-Verzeichnis untersucht wurden, sowie eine qualitative Expertenbefragung von 10 DiGA-Herstellern.
DiGA arbeiten mit PROMs im Rahmen ihrer medizinischen Intervention
Die quantitative Analyse der Hersteller-Websites zeigt, dass 72 Prozent der untersuchten DiGA (79 von 110) PROM erheben und als Teil ihrer Intervention verarbeiten. DiGA fragen die Nutzerinnen und Nutzer beispielsweise mithilfe von PROM regelmäßig nach ihrem Befinden, ihren Symptomen und ihren körperlichen Beschwerden.
Durch die digitale Interaktion können diese 79 DiGA eine personalisierte Versorgung anbieten. Eingesetzt werden die Daten für das Selbstmanagement der Nutzerinnen und Nutzer (bei 29 von 79 DiGA), für die Therapiesteuerung (bei 13 von 79 DiGA) oder für beide Funktionen (bei 37 von 79 DiGA).
Dass regelmäßig und digital erhobene PROM essenziell für das Selbstmanagement und die Therapiesteuerung sind, verdeutlichen die Indikationsbereiche der DiGA, die PROM bereits im Rahmen ihrer Intervention anwenden. Bei vielen dieser Beschwerden und Indikationsbereiche, wie beispielsweise Kopfschmerzen, psychische und psychosomatische Erkrankungen oder auch Einschränkungen im Stütz- und Bewegungsapparat, können eine gute Diagnostik und Therapie gar nicht anders erfolgen als durch eine regelmäßige Befragung der Betroffenen.
DiGA nutzen PROMs für ihren Wirksamkeitsnachweis
DiGA, die eine Kostenerstattung in der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung anstreben, müssen nach § 139e SGB V neben Anforderungen zur Vertrauenswürdigkeit und Nutzerfreundlichkeit einen positiven Versorgungseffekt in Form eines medizinischen Nutzens und/oder in Form patientenrelevanter Struktur- und Verfahrensverbesserungen nachweisen.
Als Endpunkte zum Nachweis des DiGA-induzierten medizinischen Nutzens werden, neben weiteren Daten, auch sehr häufig PROM eingesetzt. In 25 der insgesamt 28 analysierten Studien und Studienkonzepte werden sie zur Messung des primären Studienendpunkts herangezogen, in 18 dieser Studien werden validierte PROM-Instrumente verwendet. PROM haben im Bereich des DiGA-Wirksamkeitsnachweises also bereits eine evaluative Funktion.
Validierte und standardisierte PROM-Fragebögen einsetzen
Da DiGA in einem interaktiven, digitalen Prozess Patientinnen und Patienten auf Basis der eigenen PROs in ihrem Gesundheitshandeln stärken und die Therapiesteuerung unterstützen, sind sie Prototyp einer patientenzentrierten Versorgungform. Nun geht es darum, dass möglichst häufig und konsequent validierte und standardisierte PROM-Fragen und -Fragebögen im Rahmen von DiGA-Interventionen eingesetzt werden. Es bedarf zudem neuer Regelungen, wie DiGA stärker in die (analoge) Routineversorgung integriert und mit dieser verknüpft werden können, um so ein intelligentes Zusammenspiel aus digitaler und analoger Versorgung auch zwischen regulären Arztterminen in der Praxis zu ermöglichen.