Stellen Sie sich vor, Sie hatten kürzlich eine medizinische Behandlung. Mit den klinischen Ergebnissen ist das Ärzteteam zufrieden. Doch wie geht es Ihnen, abseits klinischer Parameter? Wie nehmen Sie die Behandlungseffekte und eventuelle Nebenwirkungen wahr? Und: Sind Sie dazu schon einmal strukturiert befragt worden?

Hier kommen Patient-Reported Outcomes Measures (PROMs) ins Spiel – die wissenschaftlich fundierten Fragebogen ermöglichen den Patientinnen und Patienten, ihren Gesundheitszustand, ihre Symptome und ihre Lebensqualität zu beschreiben und diese Informationen in die Bewertung der Versorgungsqualität aktiv einzubeziehen. Die erhobenen patientenberichteten Gesundheitsmerkmale (PROs) verdeutlichen, wie es erkrankten Menschen geht und ob eine Behandlung die erhofften Ergebnisse erzielt hat. Sie sind damit eine wertvolle und notwendige Ergänzung klinischer Daten, indem sie die Perspektive der Patientinnen und Patienten abbilden.

Obwohl sich die Gesundheitsversorgung am Leitbild des Patientenwohls orientiert, ist es noch weitgehend unbekannt, wie Patientinnen und Patienten die Ergebnisqualität der Versorgung beurteilen. Neben klinischen Outcome-Parametern wie der Reduktion von Herzinfarkt-, Sterbe- oder Rückfallraten sollten auch patientenberichtete Outcome-Parameter hinsichtlich Symptome, Beeinträchtigungen und Lebensqualität strukturiert erfasst werden. Dies betrifft die Ergebnisse nach einer einmaligen Intervention ebenso wie die Gesundheitsergebnisse, die bei der kontinuierlichen Versorgung einer chronischen Erkrankung erzielt werden.

Wo und wie PROs genutzt werden

Gesundheitsversorgung wird auf verschiedenen Ebenen geleistet, gesichert, verhandelt und verbessert. Daher ist es notwendig, Patient-Reported Outcomes in diesen vielfältigen Kontexten zu sammeln, zu analysieren und einzubeziehen. Zwar mögen sich die Ziele der PRO-Erhebung je nach Nutzungskontext unterscheiden, doch letztlich geht es immer um eine bessere Qualität. Je nach vorrangigem Zweck lassen sich die Anwendungskontexte in drei Kategorien zusammenfassen:

  • Nutzung in der medizinischen Intervention
  • Nutzung in der qualitätsorientierten Steuerung
  • Nutzung in der Evidenzgenerierung
Nutzungszwecke von Patient-Reported Outcomes
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Wie PROs in die Routineversorgung kommen

Die Ausrichtung der Gesundheitsversorgung auf Patientenwohl und Outcomes gelingt nicht über Nacht. Zahlreiche Länder haben sich schon vor Längerem auf den Weg gemacht, die Patientenperspektive stärker in die Versorgung zu integrieren. Der Blick in diese Länder zeigt, wie wichtig der politische Wille für die systematische Erfassung und Berücksichtigung der Patientenperspektive ist (siehe auch: Patient-Reported Outcomes Measures (PROMs): ein internationaler Vergleich). Auch in Deutschland gibt es bereits vielversprechende Ansätze zur Erhebung und Berücksichtigung von PROs (siehe auch Patient-Reported Outcomes – Wie die Patientenperspektive die Versorgung transformieren wird). Doch es fehlt noch an einer systematischen und flächendeckenden Umsetzung. Und es besteht die Gefahr, dass PRO-Daten isoliert verwendet werden und ihr Potenzial nicht ausgeschöpft wird.

Vor diesem Hintergrund fordert eine Expertengruppe aus Medizin, Wissenschaft, Versorgung und Bertelsmann Stiftung ein zügiges ordnungspolitisches Handeln. Um das volle Potenzial patientenberichteter Daten zu nutzen, sind entsprechende Weichenstellungen erforderlich. Dazu gehören die Entwicklung einer nationalen Strategie zur Patientenzentrierung, die Festlegung von Core Outcomes für verschiedene Versorgungskontexte sowie die Schaffung von klaren Verantwortlichkeiten und Vergütungsmodellen für die Nutzung von PRO-Daten:

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5 Schritte zur Implementierung

  1. Nationale Strategie erarbeiten: Im deutschen Gesundheitswesen findet ein Paradigmenwechsel statt: die Ergänzung der ärztlichen um die patientenseitige Perspektive auf Krankheit und Gesundheit sowie die konsequente Ausrichtung der Versorgungsstrukturen und -prozesse auf Outcomes. Neben patientenrelevanten klinischen Outcomes wie Komplikationen und Sterblichkeit erfordert dies eine systematische Erhebung, Auswertung und Nutzung patientenberichteter Daten zu Erfahrungen (PREs) und Outcomes (PROs). Die flächendeckende Implementierung stellt einen Kraftakt dar, der nur mit dem Engagement aller Stakeholder gelingt. Diese sollten sich daher zu einem nationalen Plan für Patientenzentrierung verpflichten.
  2. Core Outcomes festlegen: Für spezifische Versorgungskontexte, Erkrankungen und Interventionen sollten sich einschlägige Gremien auf ein Set konkreter Versorgungsziele mit entsprechenden Indikatoren einigen. Diese Core Outcomes enthalten üblicherweise klinische Outcomes und PROs, teilweise auch PREs (Patient-Reported Experiences), und sollten sowohl im individuellen Behandlungskontext als auch in der Qualitätssteuerung einsetzbar sein. Um den Konsentierungsprozess zu erleichtern, sollten internationale Vorarbeiten berücksichtigt werden. Darüber hinaus sollten für die Primärversorgung generische PROs für Kerndomänen von Gesundheit festgelegt werden.
  3. PROs im individuellen Behandlungskontext nutzen: Patientinnen und Patienten geben in PRO-Fragebögen Auskunft über sensible Aspekte ihrer Krankheitslast und -wahrnehmung. Davon sollten sie während der medizinischen Behandlung selbst unmittelbar profitieren. Zugleich sind auch die Ärztinnen und Ärzte daran interessiert, die PROs im individuellen Versorgungskontext für das Gespräch über die aktuelle Situation und die weiteren Behandlungsschritte zu nutzen. PRO-Daten sollten deshalb für Patientinnen und Patienten einsehbar und für ihre Behandlungsteams direkt nutzbar sein.
  4. Verantwortlichkeiten und Vergütung regeln: Systeme zur Sammlung und Auswertung individueller und aggregierter PRO-Daten entstehen nicht von allein. Im Rahmen der politisch intendierten Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen sind Investitionen für den Aufbau zu tätigen. Mit Blick auf die unterschiedlichen spezifischen Behandlungs- und Versorgungssettings muss geklärt werden, wer wann dafür verantwortlich ist, die PRO-Daten zu sammeln, zu sichten, auszuwerten und darauf zu reagieren. Die Umsetzung dieser Verantwortlichkeiten – sowie das Erreichen guter Outcomes – sollte mit Vergütungsmodellen verknüpft werden.
  5. Interoperabilität gewährleisten: Das Potenzial patientenberichteter Daten kann nur gehoben werden, wenn die IT-Systeme von Kliniken und Praxen, von DiGA und anderen Medical Devices, von Registern und weiteren Datensammelstellen – und nicht zuletzt der elektronischen Patientenakte – interoperabel sind. Dies umfasst zuallererst die semantische, syntaktische und psychometrische Interoperabilität, aber auch die technische, rechtliche und organisatorische. Der mit den Digitalgesetzen beschrittene Weg hin zu einer umfassenden Interoperabilität sollte konsequent weitergegangen werden.

Was Patientinnen und Patienten in der Versorgung erlebt haben und wie es ihnen vor, während und nach bestimmten Eingriffen und Therapien geht, lässt sich durch validierte Instrumente erfassen – und das ist längst überfällig. Der Weg dorthin braucht sicher einen langen Atem. Daher erscheint es sinnvoll, dort anzusetzen, wo bereits Interesse und Motivation für Veränderungen bestehen und wo das Potenzial einer verbesserten Berücksichtigung der Patientenperspektive am größten ist.

ZUM POSITIONSPAPIER

Initiatoren des Positionspapiers: Prof. Dr. Reinhard Busse, Dr. Jens Deerberg-Wittram, Dr. Ilona Köster-Steinebach, Dr. Mani Rafii, Prof. Dr. Matthias Rose, Uwe Schwenk, Prof. Dr. Ariel Dora Stern