Mit Telemedizin können Behandlungsprozesse verbessert oder Versorgungslücken geschlossen werden. In unserer im Dezember veröffentlichten Studie zu telemedizinischen Prozessinnovationen hat das Berliner IGES-Institut für uns gefragt, wie Telemedizin-Projekte in der Regelversorgung ankommen – und 15 Erfolgsfaktoren identifiziert. Einer der in der Studie untersuchten Vorreiter im Feld ist das „Telemedizinische Projekt zur integrierten Schlaganfallversorgung“ in der Region Süd-Ost-Bayern (TEMPiS), welches durch die Städtisches Klinikum München GmbH in Kooperation mit der Universität Regenburg initiiert wurde. Im Interview erklärt uns der Gesamtkoordinator des TEMPiS-Netzwerkes Dr. Gordian Hubert, was das Projekt leistet, welche Hürden es zu überwinden galt und was wir in Deutschland aus seiner Sicht brauchen, damit Telemedizin in der Fläche ankommt.
Was war der Ausgangspunkt bzw. was ist der Kerngedanke hinter dem TEMPiS-Projekt?
Hubert: „Die Patienten können durch Telemedizin 24 Stunden am Tag die Einschätzung und Therapieempfehlung eines Schlaganfall-Experten erhalten. Weil die Akuttherapie eines Schlaganfalls sehr rasch begonnen werden muss, dürfen Verzögerungen durch langwierige Verlegungen in ein entferntes Zentrum nicht auftreten. Außerdem profitieren die Patienten auch gleich von den gut geschulten Teams (Pflege, Therapeuten, Ärzte, etc.) auf den Stationen der angeschlossenen Krankenhäuser vor Ort.“
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten drei Erfolgsfaktoren für TEMPiS?
Hubert: „TEMPiS wurde von Anfang an sehr durch die Politik und die Kostenträger unterstützt. Diese Unterstützung und die klar festgelegte Finanzierung des Netzwerks ist einer der großen Erfolgsfaktoren des Projekts. Außerdem haben wir bereits in der Anfangsphase eine sehr detaillierte Evaluation des Netzwerks durchgeführt und konnte durch die positiven Ergebnisse die dauerhafte Weiterführung rechtfertigen. Ein weiterer großer Erfolgsfaktor war natürlich auch das große Engagement aller – der Zentrumsmitarbeiter wie auch der Beteiligten in den Kooperationskliniken. Und dieses Engagement hält bis heute noch an, so wird das Netzwerk gemeinsam gestaltet und weiterentwickelt.“
Was sind die größten Hürden, mit der Sie bei der Etablierung Ihres Projektes zu kämpfen hatten?
Hubert: „Die Etablierung erfolgte durch meine Vorgänger, so dass meine Antworten nur aus zweiter Hand sind. Aber wie bei jeder neuartigen Versorgungsform galt es anfangs vor allem, Skeptiker zu überzeugen, sowohl im medizinischen Sinne, als auch im organisatorischen und finanziellen. Die positiven Ergebnisse der Evaluation haben uns hierbei sehr unterstützt.“
Was muss passieren, damit mehr sinnvolle telemedizinische Anwendungen in der Fläche der Versorgungslandschaft in Deutschland ankommen?
Hubert: „Über allem steht natürlich ein gutes Konzept. Es muss eine klug überlegte neue Versorgungsform sein, die wichtige Lücken schließen kann. Außerdem muss die Finanzierung ausreichend gewährleistet sein – vor allem ist es erforderlich, den Arbeitsaufwand gut zu kalkulieren. Aber gerade bei neuartigen Projekten ist eine solche Kalkulation nicht immer ganz einfach. Ein unterfinanziertes Projekt kann vielleicht noch durch das Engagement der Protagonisten eine Weile aufrechterhalten werden, aber in die Regelversorgung wird es so nur selten kommen. Weiterhin sollten neue Versorgungskonzepte immer wissenschaftlich evaluiert werden. Nur dann weiß man sicher, ob es sich um eine medizinisch ‚sinnvolle‘ Anwendung handelt und kann entsprechend auch eine Finanzierung auf lange Sicht rechtfertigen. Politik, Behörden und Kostenträger müssen außerdem die Bereitschaft zeigen, neuartige Versorgungskonzepte mit zu unterstützen und den Mut haben, bei positiven Evaluationsergebnissen diese Konzepte auch in die Regelversorgung zu übernehmen.
Dr. Gordian Hubert studierte Humanmedizin in Berlin, Lausanne und München. Seine Weiterbildung absolvierte er in München und Dunedin, Neuseeland. Seit 2010 arbeitet er im Bereich der Telemedizin und ist seit 2014 Gesamtkoordinator des TEMPiS-Netzwerkes. Seine Interessensschwerpunkte sind vaskuläre Neurologie und Telemedizin. Er ist Vorsitzender des TeleStroke Committee der Europäischen Schlaganfallgesellschaft.
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