Wie wirken sich eine COVID-19-Erkrankung oder die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf die Gedächtnisleistung aus? Das wird aktuell in einem groß angelegten Bürgerforschungsprojekt analysiert. Helfen soll dabei eine App mit regelmäßigen Gedächtnistests, die jeder Erwachsene in Deutschland herunterladen kann. Dr. Chris Rehse, Mitglied unseres Expertennetzwerks „30 unter 40“, ist mit seinem Team Entwickler dieser App. Im Interview erläutert er den Projektansatz und erklärt, wie digitale Lösungen „Citizen Science“ ermöglichen.


Was ist das Ziel eures Projekts?

Rehse: „Im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung wird immer wieder von neurologischen Beschwerden berichtet, so auch von Gedächtnisproblemen. Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg haben nun ein Projekt ins Leben gerufen, um den Einfluss der Erkrankung auf das Gehirn besser zu verstehen. Dabei helfen sollen Gedächtnistests, die wir als technischer Partner auf einer App zur Verfügung stellen. Wir wollen aber nicht nur Menschen ansprechen, die an COVID-19 erkrankt sind oder davon betroffen waren. Alle Erwachsenen können sich beteiligen. Denn die Studie möchte auch untersuchen, inwiefern sich die psychische Belastung durch die Pandemie, insbesondere die sozialen Beschränkungen, auf die geistige Fitness auswirken.“

Was versteht ihr unter dem Begriff „Bürgerforschung“ in diesem Kontext?

Rehse: „Das heißt, dass jeder Erwachsene mitmachen kann und mit seinem Engagement zur Erforschung von COVID-19 und den Folgen der Pandemie beiträgt.“

Wie können digitale Lösungen diesen Ansatz aus deiner Sicht befördern? Welche Erfahrungen gibt es schon? 

Rehse: „Eine mobile App eignet sich hervorragend für die Bürgerforschung, weil dadurch ein Großteil der Bürger sehr leicht an dieser Interaktion zwischen Gesellschaft und Forschung teilnehmen kann. Die mobile App muss lediglich auf einem Smartphone oder Tablet installiert werden. Die Teilnehmer müssen dabei weder persönlich in Forschungsinstitute kommen noch muss zusätzliche Hardware angeschafft werden.

Erfahrungen mit dieser Form der Bürgerforschung haben wir bereits im Rahmen eines Pilotprojektes mit rund 2.500 Teilnehmenden zwischen 18 und 89 Jahren gesammelt. In dieser Studie ging es uns um die Variabilität unserer Gedächtnisleistung im Alltag – also den Einfluss von Schlafmangel, einer Grippe oder einfach der Tageszeit, zu der wir eine Gedächtnisaufgabe bearbeiten. Unsere Studienergebnisse weisen dabei nicht auf einen starken Einfluss des Schlafes oder den Symptomen einer Grippe hin – wohl aber darauf, dass unsere kognitive Leistungsfähigkeit über den Tagesverlauf leicht variiert.  Vor allem hat uns diese Studie aber gezeigt, dass es eine mobile App unter Beteiligung der Öffentlichkeit erlaubt, Fragestellungen wissenschaftlich valide zu untersuchen, die man im Forschungslabor nur schwer angehen kann. Im Kontext der Pandemie wird das umso deutlicher.“

Wie funktioniert die App in eurem Projekt genau?

Rehse: „Die App ruft zunächst alle paar Tage, später seltener, zu Gedächtnistests auf. Dabei werden Fotos und computergenerierte Szenerien eingeblendet. Auf diesen Abbildungen müssen sich die Studienteilnehmenden etwa die Lage von Objekten merken oder erkennen, ob es sich um Innen- oder Außenaufnahmen handelt. Der Testablauf umfasst verschiedene, spielerische Aufgaben. Insgesamt braucht man dafür etwa eine Viertelstunde.

Die Testergebnisse werden anonym erfasst. Die Informationen, die von der App zu Forschungszwecken übermittelt werden, ermöglichen keinerlei Rückschlüsse auf die persönliche Identität der Studienteilnehmer.

Die unterschiedlichen Aufgaben beanspruchen gezielt bestimmte Hirnbereiche und kognitive Fähigkeiten. Sie mögen banal erscheinen, doch dahinter steckt wissenschaftliches Know-how. Die App wird daher auch in klinischen Studien über Demenz eingesetzt.“

Wann ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen?

Rehse: „Die Studiendauer ist auf zwei Jahre angelegt. Wir wollen das Auf und Ab der Krankheitswellen erfassen – und auch, wie die Impfkampagne das Geschehen beeinflusst. Mit ersten Zwischenergebnissen rechnen wir Ende 2021.“

Zur Website des Bürgerforschungsprojekts

 


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