Verordnungsfähige digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) haben ein großes Potenzial für eine niedrigschwellige, am Patientenwohl orientierte Versorgung. Doch wie kann die medizinische Qualität von DiGA zuverlässig bewertet werden? Mit unserem Prüfverfahren sorgen wir für mehr Transparenz.
Therapieentscheidungen basieren in der Regel auf einer Mischung aus evidenzbasierten Leitlinien, klinischer Erfahrung und individuellen Patientenfaktoren. Zudem nutzen Therapeutinnen und Therapeuten bzw. Ärztinnen und Ärzte das Wissen aus klinischen Studien, pharmakologischen Datenbanken, Fortbildungen, Kongresse oder dem Austausch im Fachkollegium.
Doch wie verhält es sich bei verordnungs- und erstattungsfähigen DiGA? Obwohl „Apps auf Rezept“ seit Oktober 2020 Teil des ärztlichen Behandlungsspektrums sind und das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein DiGA-Verzeichnis mit wesentlichen Informationen zu den Apps anbietet, sind sie noch längst kein fester Bestandteil im Therapieentscheidungsprozess.
Im Wesentlichen sind zwei Faktoren dafür ausschlaggebend:
- Ärzte und Psychotherapeutinnen wissen zu wenig über die Qualität und den medizinischen Nutzen von DiGA, denn der Zugang zu detaillierten Informationen ist noch nicht routinemäßig in den klinischen bzw. praxisinternen Workflows etabliert.
- Es existieren noch zu wenig detaillierte Informationen über die medizinische Qualität von DiGA. Zudem lassen sich verschiedene Anwendungen nur schwer miteinander vergleichen.
Das Programm Gesundheit arbeitet mit ihrer gemeinnützigen Tochtergesellschaft BSt Gesundheit (ehemals Weisse Liste) seit 2019 daran, Lösungen zu entwickeln, die sich genau dieser Frage widmen: Wie können medizinische Fachkräfte gezielt auf qualifizierte und detaillierte Informationen zu DiGA zugreifen, um diese sinnvoll in die Behandlung zu integrieren und so einen echten Mehrwert für Patientinnen und Patienten zu schaffen?
Begutachtungsprozess
Kernresultat ist die Entwicklung eines Verfahrens zur unabhängigen Begutachtung der medizinisch-fachlichen Fundierung sowie der Qualität und Evidenz von DiGA. Dafür haben wir mit einem medizinisch-psychotherapeutischem Expertengremium zusammengearbeitet und einerseits einen Katalog an qualitätsrelevanten Gütekriterien erstellt sowie andererseits Struktur, Schritte und Zuständigkeiten des Begutachtungsprozesses definiert.

Dafür wurden externe Gutachterinnen und Gutachter zur Bewertung der jeweiligen Apps ausgewählt und je nach Indikationsbereich der App sogenannte indikationsspezifische Arbeitsgruppen (iAG) aus externen Fachexpertinnen und -experten gegründet. Diese Arbeitsgruppen entwickelten die spezifischen Fragestellungen für die Gutachten der DiGA, werteten die Gutachten aus und legten die Gesamtbewertung der jeweiligen DiGA fest. Teile dieser Prozessschritte wurden von einer internen wissenschaftlichen Redaktion moderiert, während ein übergeordnetes „Gutachten-Board Medizin“ (GBM) die Indikationsbereiche und Bewertungsmethodik festlegte.
Insgesamt basiert der Begutachtungsprozesses auf zwei Leitfragen:
- Entsprechen die digitale Anwendung und deren Wirkversprechen dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens im jeweiligen Fachgebiet?
- Sind die angestrebten positiven Versorgungseffekte der App nachgewiesen, und wie hoch ist die Qualität dieser Nachweise?
Themenbereiche wie Datensicherheit oder Nutzerfreundlichkeit der App spielten bei der Bewertung keine Rolle. Im finalen Schritt bereitete die wissenschaftliche Redaktion der BSt Gesundheit die Gesamtergebnisse der Begutachtung auf.
Ergebnisse
Anhand dieses Prozesses haben wir nun erstmals neun Apps aus vier Indikationsbereichen bewertet:

Auf diese Weise sind zu jeder App ein detaillierter Prüfbericht entstanden.
Analysen zeigen: Apps werden von Patientinnen und Patienten vor allem dann genutzt, wenn sie von Behandelnden empfohlen und im besten Fall Teil der Therapie sind. Damit Ärztinnen und Ärzte aber eine spezielle App empfehlen und verschreiben können, müssen sie von der Qualität dieser DiGA überzeugt sein. Oftmals fehlen ihnen genau hier verlässliche Informationen.
Genau diese Lücke wollen wir mit unserem DiGA-Prüfverfahren schließen: Unsere detaillierten Begutachtungen sollen für eine gesicherte Qualitätstransparenz sorgen Gesundheitsfachkräften eine verlässliche Orientierung bieten. Und weil die Bewertung von DiGA noch ein dynamisches Feld ohne etablierte Standards ist, wollen wir zusätzlich Impulse für die Entwicklung solcher Standards setzen.
Handlungsempfehlungen
Fünf wesentliche Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen haben wir anhand der Begutachtungsprozesse der neun DiGA aus den vier Indikationsbereichen abgeleitet:
- Verbesserung der Informationsverfügbarkeit
Schlussfolgerung: Es besteht ein dringender Bedarf an Transparenz und zielgruppengerechter Aufbereitung der Informationen über die medizinische Qualität von DiGA.
Handlungsempfehlung: Eine zentrale, frei zugängliche Onlineplattform mit verlässlichen Gesundheitsinformationen und Testzugängen könnte Informationslücken schließen.
- Sicherstellung wissenschaftlicher Evidenz
Schlussfolgerung: Die Evidenzqualität von DiGA muss durch geeignete Studiendesigns und eine klare medizinische Fundierung gestärkt werden.
Handlungsempfehlung: Unabhängige Studien und Förderprogramme sind notwendig, um Interessenkonflikte zu vermeiden und die Aussagekraft von DiGA zu erhöhen, insbesondere durch Vergleichsstudien und Versorgungsforschung.
- Integration in Behandlungsmethoden
Schlussfolgerung: DiGA sollten als integraler Bestandteil des Versorgungsprozesses gesehen werden.
Handlungsempfehlung: Hybride Modelle, die digitale Anwendungen mit medizinischen Dienstleistungen kombinieren, sind zu fördern. Eine Anpassung der Prüfsystematik zur besseren Integration hybrider Lösungen in die Erstattung ist erforderlich.
- Erhöhung der Qualifikation von Fachkräften
Schlussfolgerung: Die Qualifikation von medizinischem Personal im Bereich digitaler Gesundheitsanwendungen muss systematisch gestärkt werden.
Handlungsempfehlung: Aus-, Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten sollten ausgebaut und Fachkräften mit digitalem Gesundheitswissen rekrutiert werden. Regulatoren und Kostenträger sollten Schulungen anbieten, um die Einhaltung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards zu gewährleisten.
- Förderung der Patientenkompetenz
Schlussfolgerung: Eine bessere Patientenaufklärung kann die Akzeptanz und den Erfolg digitaler Gesundheitsanwendungen erhöhen.
Handlungsempfehlung: Patienten sollten aktiv in die Nutzung von DiGA eingeführt und durch Aufklärung und Schulungen befähigt werden, diese effektiv zu nutzen.
Sie interessieren sich für die einzelnen Ergebnisberichte? Diese stehen hier kostenlos zum Download.