„Der digitale Patient“ will sich in einer Debattenreihe den Möglichkeiten und Grenzen von Big Data im Gesundheitswesen konstruktiv nähern. Unser Blog fungiert dabei als Plattform, wir lassen hier Experten aus verschiedenen Bereichen zu Wort kommen. Alexander Büchsenschütz und Christoph Meyer-Delpho gingen im vorigen Beitrag der Frage nach, warum Big Data im Gesundheitswesen seinen Potenzialen hinterherhinkt. Prof. Jonas Schreyögg plädiert in diesem Beitrag dafür, bereits existierende Daten des Gesundheitssystems besser für Forschung und Patienteninformation zu nutzen.
Derzeit wird viel über die Anwendung von Big Data im Gesundheitswesen diskutiert. An sich beschreibt Big Data die Möglichkeit, große Datenmengen unterschiedlicher Natur in kurzer Zeit analysieren zu können. Oftmals gerät dabei aus dem Blick, welche Datenbasis für Analysen zur Versorgungsforschung und Patienteninformation überhaupt zur Verfügung stehen und welchen Zugang es zu diesen Datenbeständen gibt. Dabei weist Deutschland schon jetzt eine hervorragende Datenbasis im Gesundheitswesen auf.
Prinzipiell steht eine Reihe von Datensätzen, unter anderem stationäre Abrechnungsdaten und Kassendaten, für wissenschaftliche Zwecke und die Patienteninformation zur Verfügung. Allerdings existieren hinsichtlich der konkreten Freigabe und Nutzung dieser Daten immer noch große administrative Hürden und Vorbehalte, die überwiegend nicht auf Datenschutzanforderungen zurückzuführen sind. Dabei wären diese Daten für die Versorgungsforschung und Versorgungssteuerung ein wertvoller Schatz.
Aus Perspektive der Patienten könnten zudem verbesserte Nutzungsmöglichkeiten der Daten zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen beitragen. Daten, die Auskunft über den Nutzen sowie die Qualität von Leistungen und Leistungserbringern im Gesundheitswesen geben können, sind eine wichtige Grundlage, um informierte Entscheidungen über die Art der Behandlung oder den Behandler zu treffen.
In Deutschland ist es jedoch so, dass viele für Forschung oder Patienteninformation nutzbare Leistungs- und Strukturdaten zwar grundsätzlich vorliegen, aber entweder nicht öffentlich zugänglich sind (ambulanter Sektor) oder im Datenumfang erweitert bzw. besser erschließbar gemacht werden müssten (stationärer Sektor). Für eine effiziente Datennutzung ergeben sich daher folgende Forderungen:
- Eine auch international wettbewerbsfähige Versorgungsforschung benötigt einen niedrigschwelligen Zugang zum Volldatensatz der Routinedaten gemäß § 303a SGB V. Regulatorische oder prozedurale Hürden sollten zügig abgebaut werden.
- Die Nutzung der Leistungs- und Strukturdaten zur Patienteninformation setzt voraus, dass diese mit einem entsprechenden Institutionenkennzeichen verbunden werden, um sie einer bestimmten Einrichtung zuordnen zu können.
- Es existieren wertvolle Struktur- und Leistungsdaten zur ambulanten Versorgung, diese sind aber bislang – anders als im stationären Sektor – vor allem für die Patienteninformation nicht zugänglich. Die Daten sollten künftig deutlich besser erschlossen und gezielt veröffentlicht werden.
Ein Mehrwert für evidenzbasierte Politik und informierte Entscheidungen der Patienten
Ein besserer Zugang zu den existierenden Datensätzen ist kein Selbstzweck: In den vergangenen Jahren ist ein klarer Trend zu evidenzbasierter Gesundheitspolitik in Deutschland erkennbar. Gerade bei der Konzeption von Reformen ist es wichtig abzuschätzen, wie diese Reformen wirken werden und ob gegebenenfalls nach einigen Jahren eine Nachsteuerung erforderlich ist. Dabei verweist die Politik regelmäßig zu Recht auf die mangelnde wissenschaftliche Evidenz in vielen Bereichen des Gesundheitswesens. Aber gerade die Bereitstellung von systematisch aufbereiteten Informationen und darauf aufbauenden Analysen führt oftmals zu einer Versachlichung und einer ausgewogeneren Darstellung der Thematik in der Öffentlichkeit.
Big Data: Deutschland sollte dem Beispiel anderer Länder folgen
Viele Länder haben bei der Nutzung der existierenden Daten des Gesundheitswesens für die Versorgungsforschung vergleichsweise liberale Vorschriften. Mit Blick auf die Patienteninformation existieren zwar noch große Unterschiede, aber immer mehr Länder öffnen ihre Leistungs- und Strukturdaten sowie ihre Routinedaten auch für diesen Zweck. Vor allem in England und den skandinavischen Ländern können vielfach administrative Datensätze für die Patienteninformation, auch für einzelne Krankenhäuser, herangezogen werden. Im Sinne einer optimalen Verwendung von Ressourcen im Gesundheitswesen sollte Deutschland ihrem Beispiel folgen.
Im nächsten Beitrag wird Dr. Sarah Fischer darüber bloggen, wie wir zu mehr Datensouveränität im Umgang mit Big Data kommen können.
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