Das Deutsche Telemedizinportal listet 169 telemedizinische Projekte in Deutschland. Die thematische Bandbreite der Projekte zeigt, in welchen Bereichen Telemedizin bereits dazu beiträgt, Versorgungsprozesse im Gesundheitswesen zu verbessern oder Versorgungslücken zu schließen. Oftmals aber schaffen es die Projekte nicht über die Modellphase hinaus in die Regelversorgung. Deutschland gleicht einem telemedizinischen Flickenteppich. Im vergangenen Jahr haben wir uns vier Projekt-Pioniere genauer angeschaut und nach den wichtigsten Faktoren für ihren Erfolg gefragt. In den kommenden Wochen werden einzelne Vertreter von ihnen hier im Blog persönlich zu Wort kommen.


Es ist ein langer Weg für telemedizinische Innovationen, bis sie in der Regelversorgung angekommen sind.  Das gilt für alle vier Projekte, die das Berliner IGES-Institut für uns in der Studie Telemedizinische Prozessinnovationen in die Regelversorgung analysiert hat. Die Auswahl der Projekte steht beispielhaft für die verschiedenen Bereiche des Gesundheitssystems, in denen Telemedizin Versorgungsprozesse verbessern kann – ob bei akuten Notfällen oder im häuslichen Umfeld des Patienten. Von der ambulanten videounterstützten Therapie von Parkinson-Patienten, über die telemedizinische Kontrolle von implantierten Kardiovertern bzw. Defibrillatoren bis zum Telenotarzt-System in Aachen und zur Telemedizin in der Notfallversorgung von Schlaganfall-Betroffenen (TEMPiS). Die Analyse der Projekte zeigt: Nicht nur die nachgewiesene Verlässlichkeit und Funktionsfähigkeit spielt eine Rolle für den Erfolg, sondern auch weitere – vor allem strategische – Faktoren.

Von Parkinson-Therapie bis Schlaganfallversorgung – wie (beschwerlich) Telemedizin Teil der Regelversorgung wird
© Hier steht eine Quellenangabe.

Telemedizin kann Versorgungsprozesse optimieren – zum Beispiel bei akuten Notfällen

Etwa der Telenotarzt in Aachen. Er unterstützt Rettungskräfte bei ihren Einsätzen mit einer rund um die Uhr besetzten Telenotarzt-Zentrale und erfahrenen Telenotärzten. Diese sind beim Einsatz zugeschaltet – über eine mobile und eine fest installierte Kommunikationseinheit in den Rettungswagen. Zugleich werden zum Beispiel Bilder und Vitalparameter in die Zentrale übertragen. Der Einsatz der Telenotärzte hilft, die Zeit bis zum Eintreffen von angeforderten Notärzten vor Ort zu überbrücken. Oder wenn bei unklaren Notfällen ärztliche Unterstützung für Entscheidungen notwendig ist.

Oder TEMPiS, das „telemedizinische Projekt zur integrierten Schlaganfallversorgung in der Region Süd-Ost-Bayern“. Seit vielen Jahren hilft es Kliniken im ländlichen Raum unter anderem durch einen Telekonsildienst mit Neurologen, die in größeren bayerischen Kliniken sitzen. Dabei wird ein Schlaganfallexperte direkt in der Notaufnahme hinzugeschaltet. Alle relevanten CT- und MRT-Aufnahmen und diagnostische Befunde können digital zur Verfügung gestellt werden. Nach einer Videokonferenz gibt es dann die Empfehlung für die Weiterbehandlung der Betroffenen.

Innovationen sollten strategische Ziele von Politik und System-Akteuren unterstützen

Die Projekte haben nicht nur gemein, dass sie in akuten Notfällen zum Einsatz kommen, medizinische Expertise unabhängig vom Ort zur Verfügung stellen und so die Versorgung der Patienten verbessern. Beide Behandlungsansätze haben es auch geschafft, wichtige Ziele des Gesundheitssystems und der Gesundheitspolitik zu unterstützen: Der Telenotarzt hilft unter anderem, den Einsatz von Notärzten effizienter zu gestalten und im ländlichen Raum die Notfallversorgung mit einem Arzt sicherzustellen. TEMPiS verbessert die Schlaganfallversorgung in kleineren Kliniken und unterstützt die Weiterentwicklung von stationären Versorgungsstrukturen. Hinzu kommt bei beiden Projekten ein aktives Netzwerk an Unterstützern und Treibern, sei es in Form von Fachgesellschaften, Universitätskliniken oder des Stadtrats. Nicht zuletzt bieten beide einen positiven Kommunikationsnutzen für die örtliche Politik, Leistungserbringer und Kostenträger.

Notwendig: Ein übergreifendes Zielbild entwickeln und Barrieren abbauen

Unsere Beispiele und die Liste von 15 Erfolgsfaktoren in unserem Studienbericht zeigen, wie Telemedizin (im Grundsatz) erfolgreich werden kann. Aus Perspektive des Systems gilt es dennoch, existierende Barrieren für den Übergang in die Regelversorgung weiter abzubauen – sodass nutzenstiftende Projekte auch über die Modellphase hinaus wirken können. Dafür brauchen wir ein klares politisches Zielbild und geeignete Mechanismen.

Eine zentrale methodische Herausforderung liegt etwa beim Thema Nutzennachweis. Denn: Einen Ex-ante-Nachweis (quasi im Reagenzglas) gibt es für telemedizinische Anwendungen nicht. Stattdessen bedarf es einer systematischen Erprobung – und die ist in der Regel nicht nur methodisch anspruchsvoll, sondern auch aufwändig. Der Innovationsfonds ist ein Schritt in diese Richtung – in den geförderten Projekten ist die Evaluation direkt angelegt. Ein Punkt scheint uns jedoch darüber hinaus wichtig: Wir sollten die Projekte nicht aus dem Blick verlieren, die derzeit nicht vom Fonds gefördert werden. Die geförderten Projekte dürften aktuell das Gros an Aufmerksamkeit binden. Und die Bereitschaft, darüber hinaus in Innovation zu investieren, könnte sinken.

Mit diesem Beitrag starten wir eine kleine Reihe zum Thema: In den kommenden Wochen werden Vertreter der analysierten Projekte hier im Blog in Interviews zu Wort kommen und zu ihren Erfahrungen berichten.


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