Mit Telemedizin können Behandlungsprozesse verbessert oder Versorgungslücken geschlossen werden. In unserer Studie zu telemedizinischen Prozessinnovationen hat das Berliner IGES-Institut für uns gefragt, wie Telemedizin-Projekte in der Regelversorgung ankommen – und hat dazu 15 Erfolgsfaktoren identifiziert. Einer der in der Studie untersuchten Vorreiter im Feld ist der Aachener Telenotarzt. Im Interview erklärt uns Geschäftsführer Bernd Valentin, was das Projekt leistet, welche Hürden es zu überwinden galt und was wir in Deutschland aus seiner Sicht brauchen, damit Telemedizin in der Fläche ankommt.
Was war der Ausgangspunkt bzw. was ist der Kerngedanke hinter dem Aachener Telenotarzt?
Valentin „Patienten profitieren, indem ihnen eine schnelle und zugleich qualitativ hochwertige Versorgung zukommt. Bei kritischen Fällen kann das Rettungsdienstpersonal noch vor Eintreffen des Notarztes – unterstützt durch den Telenotarzt – direkt mit der Therapie und Medikation beginnen. Einsätze, bei denen eine klassische Schmerzmedikation erforderlich ist, werden in Aachen mittlerweile hauptsächlich unter Inanspruchnahme einer Telekonsultation durch die Rettungs- und Notfallsanitäter abgehandelt – ohne Notarzt vor Ort. Das verkürzt für den Patienten signifikant die Zeit, in der er von Schmerzen betroffen ist. Da jede Telekonsultation entlang standardisierter Verfahrensanweisungen und Leitlinien abläuft, wird im Rahmen des Telenotarzt-Konzepts zudem sichergestellt, dass dem Patienten stets eine gleichbleibend hohe und dokumentierte Qualität der Behandlung zukommt.“
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten drei Erfolgsfaktoren für den Telenotarzt?
Valentin „Aus meiner Sicht gehört zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren zum einen die flexible Anpassung der Telemedizinlösung auf Herausforderungen der Prozesse des Anwenders. Zum anderen ist die Tatsache zu nennen, dass der Telenotarzt-Dienst von der Entwicklung über die Implementierung bis hin zum Qualitätsmanagement ‚aus einer Hand‘ angeboten wird. Nicht zuletzt zeichnet den Telenotarzt die erfolgreiche Kooperation von Medizinern und Ingenieuren sowie die Expertise aus zehn Jahren Forschung und vier Jahren Regelrettungsdienstbetrieb als Erfolgssystem aus.“
Was sind die größten Hürden, mit der Sie bei der Etablierung Ihres Projektes zu kämpfen hatten?
Valentin: „Eine große Hürde war sicherlich die Begegnung mit mal offensichtlich, mal unterschwellig vorhandenen Vorbehalten sowohl von Seiten des medizinischen als auch vom Rettungsdienstpersonal. Wir mussten einiges an Vermittlungsarbeit leisten, bis der Telenotarzt als Ergänzung und nicht als Versuch der ‚Ersetzung‘ des fahrenden und fliegenden Notarzt begriffen wurde. Bei Rettungsdienstmitarbeitern haben sich Ängste, durch den Telenotarzt ‚überprüft‘ zu werden, im alltäglichen Umgang mit dem System schnell von selbst aufgelöst. Neben den unterschiedlich motivierten Vorbehalten bestand eine weitere Hürde sicherlich in der Verhandlung mit den Kostenträgern, die in vielen einzelnen Gesprächen von der Sinnhaftigkeit und Effizienz des Telenotarzt-Systems überzeugt werden mussten.“
Was muss passieren, damit mehr sinnvolle telemedizinische Anwendungen in der Fläche der Versorgungslandschaft in Deutschland ankommen?
Valentin: „Zunächst muss sicherlich ein Umdenken in der Gesundheitspolitik und -wirtschaft angeregt werden: Viele Innovationen brauchen nicht nur eine systematische finanzielle Förderung, sondern müssen sich in einem Umfeld entfalten, das wirklich offen für die Möglichkeiten der Digitalisierung ist. Eine engere Zusammenarbeit der Anbieter von Telemedizin, Politik, potenziellen Anwendern und Kostenträgern kann die Implementierung von telemedizinischen Anwendungen beschleunigen, die nachweislich zur Verbesserung der Versorgungslandschaft beitragen. Ein wichtiger Punkt ist auch die überregionale Zusammenarbeit. Der Ausbreitung von Innovationen sind oft Grenzen gesetzt, die zum Beispiel in schwer zu überbrückenden Differenzen und Eigenheiten der einzelnen Rettungsdienstbereiche in Deutschland bestehen. Zusammenschlüsse zu Netzwerken können eine Basis bieten, von der aus die ganzheitliche Umsetzung von Prozessen der Standardisierung und Qualitätssicherung möglich wird.“
Bernd Valentin ist Mitbegründer und Geschäftsführer der P3 telehealthcare GmbH in Aachen, wo er als aktiver Notarzt und Anästhesist für den medizinisch-technischen Betrieb, Vertrieb und die Entwicklung telemedizinischer Lösungen für den Rettungsdienst verantwortlich ist. Er befasst sich mit den Einsatzmöglichkeiten digitaler Gesamtlösungen, mit denen nah an den Prozessen der Anwender die Versorgungsstrukturen in der präklinischen Notfallmedizin nachhaltig und überregional gestärkt werden sollen.
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